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21. April 2020 Institut fuer Spielanalyse

Die Zukunft der Sportspiele

Ein trainingswissenschaftlicher Diskurs mit Prof. Dr. Martin Lames, Lehrstuhl für Trainingswissenschaft und Sportinformatik an der TU München, über die Lage der Sportspiele während und nach der Saisonunterbrechung aufgrund der Corona-Pandemie.

Bis zuletzt haben wir vom Institut für Spielanalyse uns mit der Vermessung der Sportspiele beschäftigt. Wir haben rekonstruiert, was geschehen ist, und haben interpretiert wie es noch hätte laufen können. Daraus haben wir verschiedene Dienstleistungen und Produkte für die Sportpraxis, die Sportmedien und die Welt der Sportwetten entwickelt. Das alles können wir jetzt nicht mehr tun. Weil wir aber nicht den ganzen Tag mit ALBAs täglicher Sportstunde rum kriegen, haben wir uns Fragen zur Zukunft der Sportspiele, insbesondere des Fußballs, aus trainingswissenschaftlicher Perspektive gestellt. Da wir jedoch nicht nur Selbstgespräche führen wollten, haben wir uns mit Prof. Dr. Martin Lames ausgetauscht.

Institut für Spielanalyse: Wie nimmst Du persönlich die Auswirkungen der Corona-Krise für den Spitzensport wahr? Welchen Wert wird der Spitzensport in unserer Gesellschaft in der post Corona Zeit haben?

Martin Lames: Also ich nehme eine Art Schockstarre wahr! Es liegt eine historisch im modernen Sport noch nie dagewesene Situation vor, der Wettkampfbetrieb ist komplett eingestellt, und im Trainingsbetrieb muss improvisiert werden. Erst allmählich registriert man im Profisport, dass man bisher in seinem Sport-Kosmos bequem eingerichtet war. Nun kommt abrupt das Zurückstutzen auf die tatsächliche gesellschaftliche Bedeutung als kleiner, disponibler Wirtschaftszweig in der Unterhaltungsbranche. Demnächst wird man sich auch weitere Fragen über die eigentliche Funktion von Leistungssport in der Gesellschaft stellen müssen: Wie wichtig ist seine Unterhaltungsfunktion? Entbehrlich, wonach es in diesen Tagen aussieht, zentral, wie die bisherigen Zuschauerzahlen und Medienreichweiten suggerieren, oder sogar systemrelevant, wie sich das offensichtlich im Selbstbild mancher Funktionäre findet. Ich gehe auch davon aus, dass die Förderung des Spitzensports mit Mitteln der Politik, also die Mittel für weniger reiche, olympische Sportarten neuüberdacht und – hoffentlich – viel reflektierter erfolgt als vor der Krise.

Bezogen auf die Sportspiele: Wie bewertest Du generell die Situation für die Spieler ohne Wettkämpfe und ohne reguläres Mannschaftstraining?

Da gibt es keinen Zweifel: Wenn man ohne Zweikämpfe und ohne Spielformen trainieren muss, dann fehlen zentrale Elemente des Sportspiel-Trainings. Zu Beginn des Shut-Downs war sogar das Training in Gruppen auf den Freiplätzen untersagt, dann blieb eigentlich nur noch das individuelle Athletiktraining. Damit kann man zwar Ausdauer und Kraft hochhalten und auch präventiv an Beweglichkeit und Stabilität arbeiten, aber das hat mit dem Zielspiel wenig zu tun.

Auch stellen erfahrungsgemäß diese Formen des Trainings ohne Ball speziell für Sportspieler erhebliche motivationale Herausforderungen dar, so dass, zusammen mit der ungewissen Zukunft, die Profis im Moment wohl mit wenig Freude ihrem Beruf nachgehen. Die Regeln wurden jüngst wieder gelockert, aber an den Bildern in den Medien sieht man, wie weit die Vereine derzeit noch vom normalen Mannschaftstraining entfernt sind. Denn zum “Trainingsauftakt” waren stets nur zwei oder vier Spieler gleichzeitig auf dem Rasen.

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Was für einen Fußball können wir in der post Corona Zeit erwarten? 

Das ist eine sehr interessante Frage, auf die eine Antwort naturgemäß spekulativ ausfallen muss, da es noch keinen direkten Präzedenzfall gibt! Wir haben allerdings in früheren Studien nachweisen können, dass Vereine, die sehr viele Spieler für eine WM oder EM im Sommer abgestellt haben, einen schlechteren Saisonstart hinlegen. Dies liegt natürlich daran, dass diese Spieler eine viel zu kurze Vorbereitung auf die neue Saison hatten und damit auch zu wenig im Mannschaftsverbund trainieren konnten. Wenn man nun wegen Corona im Training wochen- und monatelang auf essenzielle Inhalte verzichten muss, geht das nicht spurlos an der sportlichen Form und der kollektiven Leistungsfähigkeit vorbei. Es ist aus terminlichen Gründen auch nicht damit zu rechnen, dass eine neue Vorbereitungsphase eingefügt werden kann, bevor der Spielbetrieb wieder aufgenommen wird. 

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Wir müssen also mit Spielern rechnen, die nur nach wenigen Einheiten im Mannschaftstraining Wettspiele bestreiten. Wir werden wohl vermehrt technische Fehler sehen, aber vor allem Probleme in der Abstimmung innerhalb und zwischen Mannschaftsteilen. Typisch wären beispielsweise Tore aufgrund von Abspielfehlern der Abwehr oder völlig frei eingeköpfte Eckbälle. In dieser Situation haben die so genannten „Instinktspieler“ Vorteile, die sich durch individuelle Skills wie Dribbelstärke auszeichnen und bei ihrem taktischen Verhalten nicht erst nachdenken müssen. Mehr Schwierigkeiten sollten Teams haben, die vor allem durch ihre kollektiven Stärken punkten, also im gemeinsamen Spiel gegen den Ball oder durch kollektiv herausgespielte Tore. Es wird also alles in allem wohl auf geringerem sportlichen Niveau wieder losgehen, aber für Unterhaltung und Spannung dürfte gesorgt sein. 

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