Eine denkwürdige Champions League Saison mündet in ein vielversprechendes Finale: Der FC Bayern München trifft auf Paris Saint-Germain. Bevor der Anpfiff ertönt, haben wir uns mit Experten aus verschiedenen Bereichen ausgetauscht. Wir wollten wissen, was sie basierend auf ihrer Expertise im Finale erwarten. In Teil 1 sprechen wir mit Prof. Dr. Martin Lames von der TU München.
Institut für Spielanalyse: Herr Prof. Dr. Martin Lames, es wurde viel diskutiert, ob sich die Teams durchsetzen, die „ausgeruht“ sind oder die im Wettkampfrhythmus sind. Der Unterschied in puncto absolvierte Pflichtspiele seit dem Re-Start des Fußballs zwischen Bayern und Paris sind jetzt doch 9 Spiele (13 Partien FCB vs. 4 Spiele PSG). Wie beurteilst Du diese Zahlen?
Prof. Dr. Martin Lames: Die Vorbereitung der Bayern auf das Finalturnier war aus trainingsmethodischer Sicht äußerst heikel. Corona-Finale in der Bundesliga, Urlaub, Vorbereitung und Champions-League Turnier. Man muss der Athletik-Abteilung von Bayern großen Respekt zollen, dass sie das offensichtlich so gut hinbekommen haben. Es gab ja überhaupt keine Blaupausen, auf die man wie bei der sonstigen Saisonvorbereitung zurückgreifen konnte. Alles musste auf der Basis von Hypothesen über den individuellen Formaufbau geschehen: Chapeau!
Speziell in kritischen Situationen, wenn es Spitz auf Knopf steht, kann die Erfahrung und somit die Abgeklärtheit aus vielen Schlachten in den Genen eines Teams, eine Rolle spielen.
Prof. Dr. Martin Lames, TU München
Spielt es aus trainingswissenschaftlicher Perspektive eine Rolle, wer mehr Erfahrung in Finalspielen hat?
Darüber gibt es meines Wissens keine konkreten Untersuchungen, aber es ist im Prinzip schon möglich, dass speziell in kritischen Situationen, wenn es Spitz auf Knopf steht, die Abgeklärtheit aus vielen Schlachten in den Genen eines Teams, eine Rolle spielen kann. Allerdings ist das natürlich überlagert von der Dynamik des Spiels und höchstens einer von vielen Faktoren, die dann über Sieg oder Niederlage entscheiden können.
Bayern ist unglaublich stark im Chancen kreieren: 23 Torschüsse pro Spiel in der CL, 4,2 Tore pro Spiel, Conversion von 5,5. PSG mit nur 12,4 Torschüssen pro Spiel und 2,5 Toren, Conversion von 5,0. In der Effizienz nehmen sich beide also wenig. Wir wissen, dass der Zufall häufig mitspielt. Haben die Trainer die Möglichkeit, den Zufall herauszufordern?
Es liegt in der Natur des Zufalls, dass man ihn wenig beeinflussen kann. Wir werden gegebenenfalls Zufallstore sehen, aber die sind so nicht planbar. Ich würde daher die Anzahl der herausgespielten Chancen höher bewerten als die Effektivität. Wir wissen, dass eine Chance herausgespielt wird, und dann wird gewürfelt: Tor oder kein Tor. Die Tor-Effektivität ist also keinesfalls ein stabiler Parameter, auf den sich eine Mannschaft verlassen sollte.
Lewandowski und Gnabry sind zusammen mit 24 Toren das erfolgreichste Torduo aller Zeiten in der Champions League: Bisher waren das Cristiano Ronaldo und Gareth Bale mit 17+6 = 23 Toren aus der Saison 2013/14. Im Schnitt lässt PSG nur 12 Torschüsse pro Spiel zu, woraus aber nur ca. jeder 25. ein Tor wird (!). Solche Zahlen haben auf den Gegner und auf die eigenen Spieler eine starke Wirkung. Was denkst Du, wie sollten die beiden Trainer mit solchen Zahlen umgehen?
Das ist genau eines der Probleme bei der taktischen Vorbereitung auf ein Match. Man muss hier methodisch geschickt vorgehen, denn sonst können die Hinweise auf die Stärken des Gegners auch negative Effekte bei der eigenen Mannschaft haben. Bei solch imposanten Statistiken, die dann auch noch mit Gegner-Videos visuell unterfüttert werden, ist das durchaus naheliegend. Es ist daher eine gute Idee, auf die wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse zum Videotaktiktraining zurück zu greifen.