Die Bundesliga kehrt zurück, aber ob und wie viele Fans live im Stadion dabei sein können, ist landesweit unterschiedlich geregelt. Der fehlende oder nur geringfügige Rückhalt von der Tribüne kann den sportlichen Verlauf der neuen Spielzeit erheblich beeinflussen, das belegen statistische Auswertungen der Spiele nach der Corona-Pause in der Bundesliga.
Der Zwölfte Mann ist wichtiger als 5 Wechsel
Am 18. September 2020 ertönt in der Münchener Allianz Arena um 20:30 Uhr der Anpfiff zur Saison 2020/21. Der schrille Pfiff wird wohl auch an diesem Abend unüberhörbar sein. Denn eine große Geräuschkulisse ist nicht zu erwarten. Von den knapp 70.000 Plätzen in München werden wohl nur knapp 5.000 am Ende besetzt sein. In Dortmund sind Stand jetzt sogar nur 300 Zuschauer im Stadion zugelassen. Besser als nichts, werden einige sagen. Aber bleiben die Fans in großer Anzahl weiterhin außen vor, kann das den Verlauf der Saison beeinflussen und bei den Anhängern für doppelten Verdruss sorgen. Drei Thesen zur Saison 2020/21!
1. Heimvorteil? Ohne ein volles Stadion kannst du den knicken.
Dieses Szenario droht jedenfalls, wenn die gesamte Saison über nur eine Minimalbesetzung von Fans in den Stadien zugelassen wird. Endeten bis zur Unterbrechung der Saison 2019/20 am 25. Spieltag knapp 44 Prozent der Spiele mit einem Sieg für die Heimmannschaft, rutschte der Wert nach dem Re-Start der Bundesliga ohne Fans in den Stadien auf rund 32 Prozent ab. Auffällig ist aber nicht nur der abfallende Wert bei den Heimsiegen, sondern dass die Auswärtsteams nach dem Re-Start erheblich mehr Siege (43%) einfahren konnten als zuvor (35%). Die Frage zum Saisonstart wird sein, wieviele Fans genau für diesen Heimvorteil erforderlich sind, oder auch was diese Fans zur Unterstützung ihrer Mannschaft so veranstalten dürfen. Auch wenn 5.000 oder wie in Leipzig zum Saisonstart 8.500 Fans schon eine gehörige Lautstärke verursachen können, ist es kein Vergleich mit einem ausverkauften Stadion. Daher ist davon auszugehen, dass die Spielverläufe eher jenen nach dem Re-Start ähneln. Wo liegt aber die Schwelle für die Zuschaueranzahl, die wieder genug Energie entfaltet, damit sich ein Heimvorteil ergibt? Wie sehr unterstützen Fans auf Steh- und Fans auf Sitzplätzen? Wissenschaftliche Studien dazu existieren verständlicherweise noch nicht. Diese Spielzeit könnte jedoch im Nachgang für Erkenntnisse sorgen.
Vor der Corona-Pause endeten 44 Prozent der Spiele mit einem Sieg für die Heimmannschaft. Nach dem Re-Start rutschte der Wert ohne Fans in den Stadien auf rund 32 Prozent ab.
Apropos Chancengleichheit
Wenn es nun aber so ist, dass der Heimvorteil verpufft, wenn keine Zuschauer im Stadion sind, und das ist nach den Ergebnissen der letzten Saison signifikant nachgewiesen, wie Prof. Dr. Martin Lames von der TU München belegen kann, dann hat dies erhebliche Konsequenzen für die Chancengleichheit zum Start der nächsten Saison. Es gibt eindeutige Wettbewerbsnachteile für diejenigen Mannschaften, denen ihre lokalen Gesundheitsbehörden keine oder nur sehr wenige Zuschauer erlauben, wie nach derzeitigem Stand z.B. die bayrischen Vereine. Es entspricht zwar den Buchstaben des Gesetzes, ist aber eigentlich nicht im sportlichen Sinne in Ordnung, dass diese Frage lokal geregelt wird, damit aber Einfluss auf einen republikweiten Wettbewerb genommen wird. Fair wäre ausschließlich eine einheitliche Regelung in allen 18 Stadien. Hier würde ein wenig mehr Fair Play im deutschen Profifußball nicht schaden!
2. Ein Spiel dauert immer noch 90 Minuten, aber ohne Zuschauer sind viel mehr Spiele frühzeitig entschieden.
Frühe Tore sind der heilige Gral der Fußball-Taktik! Wenn es gelingt, ein frühes Tor zu erzielen, ist dadurch die Wahrscheinlichkeit eines Sieges deutlich erhöht. In der abgelaufenen Saison ist das erste Tor einer Partie 108 Mal vor der 15. Minute gefallen. Bis zur 30. Minute sind 255 der ingesamt 982 Tore geschossen worden. Die Bedeutung früher Tore in einer Partie steigt aber ohne den großen Rückhalt der Fans im Stadion nochmals an. Denn an den neun Spieltagen ohne Zuschauer war die Hälfte der Spiele 20 Minuten früher entschieden als noch vor der Corona-Unterbrechung mit Fans im Stadion. Das ist ein Teilergebnis der Bachelor-Arbeit „Ohne Fans kein Heimvorteil? – Eine Untersuchung zur Veränderung des Spielverhaltens in der Fußball-Bundesliga durch Geisterspiele in Folge der Corona-Pandemie“ von Florian Bäzner bei Prof. Lames an der TU München. Die Kurzfassung: Besonders in der Schlussphase gibt es also ohne Zuschauer weniger Gegenwehr, die zu einer Änderung des Spielausgangs führen könnte.
Weniger Comeback-Qualitäten
Geht die auswärtige Mannschaft in Führung, ist demnach nur noch wenig Gegenwehr zu erwarten. Nach dem Re-Start siegten auswärtige Mannschaften nach Führung deutlich häufiger als im Rest der Saison (13% häufiger). Mit den Fans im Rücken konnten Heimmannschaften bis zum 25. Spieltag durchschnittlich jeden sechsten Rückstand noch in eine Führung umwandeln, ohne Fans jedoch nur knapp jeden 20. Rückstand.
Verantwortlich dafür waren häufig Tore in der Crunchtime kurz vor Spielende, die der Partie noch eine Wendung gaben. Bis zur Saisonunterbrechung fiel durchschnittlich in jedem dritten Spiel ein Tor nach der 75. Minute. Nach dem Re-Start nur noch in jeder vierten Begegnung. Zumeist waren es die Heimteams, die kurz vor Spielende trafen. Ohne Fans schossen Heimmannschaften im Schnitt aber nur noch 1,43 Tore pro Partie, mit Zuschauern lag der Wert bei 1,74. Bei den Gastmannschaften ist es genau umgekehrt. In der Schlussphase der Saison schossen die auswärtigen Teams 1,66 Tore pro Partie, zuvor lag der Schnitt bei 1,52. Und dies alles, obwohl man im Zuge des Re-Starts bis zu fünf Wechsel hatte und somit auch nochmal neue frische offensive Kräfte in die Partie bringen konnte. Diese konnten jedoch keine Wirkung auf die Toranzahl oder ein Comeback erzielen. Ganz anders offensichtlich die Kräfte, die der Fan-Anhang entfacht.
Mit den Fans im Rücken konnten Heimmannschaften bis zum 25. Spieltag durchschnittlich jeden sechsten Rückstand noch in eine Führung umwandeln, ohne Fans jedoch nur knapp jeden 20. Rückstand.
3. Wenig Überraschungssiege sorgen für eine frühe Meisterschaft.
Der Heimvorteil oder besser gesagt die Heimstärke war und ist oft ein Pfund des Underdogs. In einer weniger glanzvollen, aber umso stimmgewaltigeren Fußballstätte ließ sich auch der Favorit zumindest beeindrucken oder im Optimalfall auch niederringen. Das ist kein Mythos, sondern auch die Realität der abgelaufenen Saison. Und das wurde um so sichtbarer nach dem Re-Start. Empfing ein Team daheim eine Mannschaft, die tabellarisch vor ihnen lag oder in den vier letzten Spielen eine durchschnittlich bessere Punkte-Ausbeute aufwies, gelangen 22 Prozent weniger Heimsiege und es setzte 20 Prozent mehr Heimniederlagen als noch in der Saisonphase mit Zuschauern. Favorisierte Auswärtsteams verloren bis zum 25. Spieltag trotzdem mehr als ein Drittel ihrer Partien (35%). Nach dem Re-Start waren es nur noch 13 Prozent.
Ohne eine volle Fankurve haben individuell schlechter aufgestellte Mannschaften wenig Spielraum, um ihre Defizite zu kompensieren. Wenn Underdogs aber mangels Unterstützung zu Hause nicht mehr über sich hinauswachsen und den Favoriten ein Bein stellen werden können, dann schlägt die Stunde der Papierform, zugespitzter formuliert, die Stunde des Geldes! Daher ist zu erwarten, dass sich das übliche Trio oder Quartett deutlich früher als sonst in einer Saison vom Rest absetzen wird. Stolpern die Bayernverfolger zudem zuverlässig untereinander, wird auch Platz eins zeitnah zur uneinnehmbaren Festung der Bundesliga.
Favorisierte Auswärtsteams verloren bis zum 25. Spieltag trotzdem mehr als ein Drittel ihrer Partien (35%). Nach dem Re-Start waren es nur noch 13 Prozent.
Vorfreude auf die übernächste Saison
In einer perfekten Welt findet die Menschheit einen wirkungsvollen Impfstoff, der keine Nebenwirkungen aufweist. Somit könnte der Weg frei werden, die Arenen restlos zu füllen und den Heimvorteil wieder richtig aufleben zu lassen. Bis dahin wird die Meisterschaft wohl erneut nach München gehen. Spannender dürfte da schon eher zu beobachten sein, ob die Spieler im Allgemeinen auf die Minimalkulissen positiv anspringen und die formulierten Thesen Step by Step widerlegen.
Spannend wird auch, ob sich eine positive Nebenwirkung der Corona-Pause dann verflüchtigen wird. Laut Forschungsstand begünstigen Schiedsrichter in internationalen Ligen die Heimmannschaft, sie pfeifen weniger Fouls gegen diese und verhängen weniger Karten. Und siehe da, an den zuschauerfreien Spieltagen der letzten Saison zeigten sie den Heimteams fast ein drittel mehr Karten während Auswärtsteams minimal weniger Verwarnungen erhielten. Gleichzeitig pfiffen sie auch mehr Fouls der Heimteams als noch zu Zeiten mit Fans auf den Rängen. Deren Reaktion auf Schiedsrichter-Pfiffe blieb nun jedoch aus und konnten den Schiedsrichter nicht mehr zu milderen Entscheidungen pro Heimteam bewegen. Es bleibt also in vielerlei Hinsicht spannend, außer in der Meisterschaftsfrage.