Aus Liebe zum Fußball wechselt kein Profi-Kicker nach Wolfsburg. Auch Max Kruse nicht. So ehrlich war und ist der Neuzugang des Werksvereins aus Niedersachsen schon immer gewesen und hat keinen Hehl aus seinen Wechselgründen gemacht. read the game lässt zum Abschied ebenfalls die Zahlen sprechen: Ein datengetriebener Arbeitsnachweise für Max Kruses Wirken beim 1. FC Union Berlin.
Die letzten Tage müssen für Maximilian Bennet Kruse ähnlich verlaufen sein, wie in jener ikonischen Szene in der TV-Serie “Kir Royal” (1986), als der schwerreiche Fabrikant Heinrich Haffenloher (Mario Adorf) den Reporter Baby Schimmerlos (Franz Xaver Kroetz) im breitesten rheinisch versucht zu beeindrucken und auf seine Seite zu ziehen. Man stelle sich dafür Wolfsburgs Geschäftsführer Jörg Schmadtke als Adorf vor und Kruse als Zuhörer besagter Aufwartung:
Kofferweise Geld für Kruse und Union
Dass Max Kruse am Wochenende passenderweise in einer TV-Show auf Pro7 triumphierte und am Ende mit einem Koffer voller Geld abgelichtet wurde, rundet das soeben beschriebene Bild ab. Wie viele VW-Koffer am Ende nötig waren, wissen nur die Vertragsparteien. Fakt ist: Max Kruse wurde in jedem Fall von Jörg Schmadtke überzeugt, noch im Januar nach Wolfsburg zu gehen. Auch Unions Manager Oliver Ruhnert muss mit ähnlichen Worten und Beträgen bedacht worden sein, weil er genauso wie die gesamte Club-Führung dem Deal zustimmte.
Max Kruse hat immer geliefert, wie bestellt
Sowohl in seiner Debüt-Saison als auch in dieser Spielzeit kann man vor dem detaillierten Blick auf die Daten sagen, dass Kruse immer Leistungsträger oder verletzt war. In Zahlen: Insgesamt 38 Mal ist Max Kruse für den 1. FC Union Berlin in der Bundesliga aufgelaufen – in fast jeder Partie war der 14malige Nationalspieler an Torschüssen seines Teams beteiligt, auch wenn er selbst keinen Schuss abgab. Nur bei einer grauen Nullnummer gegen Arminia Bielefeld blieb er letzte Saison einmal ohne Beteiligung an einem Torschuss. Am Ende der Spielzeit 2020/21 war Kruse an 38 Prozent aller 50 Union-Treffer in der Bundesliga beteiligt. Elf Treffer markierte der gebürtige Norddeutsche selbst, bei acht weiteren Treffern lieferte er die maßgeblich Vorarbeit durch sein sensationelles Passspiel (u.a. 5 Assists, 2 Vor-Assists).
Dass es nicht noch mehr Tor-Beteiligungen zu verzeichnen gab, lag nicht an Kruse selbst, sondern war den nicht immer optimalen Abschluss-Qualitäten seiner Mitspieler geschuldet. Denn obwohl Kruse verletzungsbedingt nur 22 Spiele in der Vorsaison absolvierte, servierte er seinen Teamkollegen 22 Torschuss-Assists. Bei 20 weiteren Abschlüssen bewies er “Auge” sowie Timing im Spielaufbau und spielte die Vor-Assists. In beiden Kategorien wurde Max Kruse nur von seinem Kapitän Christopher Trimmel übertrumpft (30 Assists, 26 Vor-Assists für Torschüsse), der aber auch elf Spiele mehr machte.
Das schöne Spiel und die Shisha spielen Doppelpass
Als Union-Fan war man in der Vergangenheit schon mit wenig zufrieden, wenn denn der Einsatz und die Intensität der Mannschaft stimmten. Pässe wurde bejubelt, wenn sie beim Mitspieler ankamen und der Ball weiterhin unter Kontrolle blieb. Ging mal was daneben, wurde um so mehr angefeuert. Mit einer beeindruckenden Torgefahr nach Standards (37% aller Saisontore) gelang zunächst der Aufstieg und in der Folge-Saison der sensationelle Klassenerhalt (49% aller Saisontore) in der Bundesliga. Mit der Verpflichtung von Kruse wurde die Torgefahr nach ruhenden Bällen bewahrt (44% aller Saisontore), aber vor allem begann der 1. FC Union Berlin das schöne Spiel zu kultivieren. Gelangen den Eisernen in ihrer Debüt-Saison in der Bundesliga gerade einmal magere acht Treffer im laufenden Spiel gegen eine geordnete Abwehr (Rang 17), waren es in der Saison danach doppelt so viele (Rang 11). Bei zehn der 16 Treffer war Kruse direkt involviert (u.a. 4 Tore, 4 Assists).
Aber Kruse kann auch anders. Als einige dachten, den eisernen Erfolgscode geknackt zu haben, stellte Urs Fischer den Angriffsstil wieder um. Vom schönen Spiel zur Konter-Truppe. Und Kruse? Der lieferte mehr denn je. In Zahlen: 46 Prozent seiner Tor-Beteiligungen sammelte er diese Saison im Umschaltverhalten, in der Vorsaison waren es 15 Prozent. An 45 Prozent der bis zum 20. Spieltag erzielten 29 Treffer ist Kruse insgesamt beteiligt gewesen (u.a. 5 Tore, 3 Assists, 4 Vor-Assists). Bereits am kommenden Spieltag hätte Kruse vermutlich einen Großteil seiner Schlusswerte aus der Vorsaison (84 Torschuss-Beteiligungen) knacken können: Bis dato steht er bei 80 Torschuss-Beteiligungen (28 Schüsse, 23 Assists, 19 Vor-Assists, 10 Beteiligungen). Kruse stand der Wesensänderung des Union-Spiels also nicht im Weg, er setzte Fischers Spielidee stattdessen auf dem Platz maßgeblich um. Zwar erzielte Kruse noch keinen einzigen Treffer im Umschaltverhalten, dafür bediente er durchweg seine Mitspieler (u.a. drei Assists und Vor-Assists).
Sein Erfolgsgeheimnis: Kruse spielt nicht seine Mitspieler an, er entwickelt mit seinem Passspiel potentielle Torgefahr in Räumen, die vom Gegner für Sekundenbruchteile verwaist werden. An den Teamkollegen ist es dann dank ihrer individuellen Klasse diese Potentiale in Torjubel zu verwandeln oder eben nicht. All in or nothing. Mal gewinnst du das Poker-Turnier, mal bleiben 75 Tausend Euro im Taxi liegen. Wer das Risiko jedoch nicht eingeht, kann auch nicht gewinnen und spielt lieber Querpässe. Kruse ist da anders, tickt und kickt anders.
Daher beeindruckt er auch niemand mit seiner Passquote (78% 2021/22). Mit seiner intuitiven Qualität unter permanentem Gegnerdruck das Spiel zu lesen und den perfekt temperierten Ball zu spielen, begeistert er hingegen die Massen. Dass Kruse diese Räume und Chancen während des laufenden Spiels fortwährend wahrnimmt, belegen die Zahlen in den Zeilen vorab und erklären die stolzen Summen, die Wolfsburg nun für einen Mann in die Hand nimmt, der im Mai 34 Jahre alt wird.
Lieber Kohle statt Kult
Spielerisch hat Max Kruse im Trikot der Eisernen in jedem Spiel überzeugt. Dafür gebührt ihm Dank und Anerkennung. Der überstürzte Abgang mag nicht jeden begeistern, aber auch das ist typisch Kruse. Geliefert, wie bestellt. Dennoch lässt sich festhalten, dass die Union-Fans somit das Vergnügen hatten Spieler wie Torsten Mattuschka, Steffen Baumgart und eben Max Kruse im Trikot der Eisernen zu erleben. Davon träumen viele andere Fußballfans ein Leben lang. Und wer weiß, was Oliver Ruhnert mit der Ablöse nun aus dem Hut zaubert!
Vielleicht überzeugt diese Klasse am Ende des Jahres auch den Bundestrainer, wenn er den Kader für die Weltmeisterschaft nominiert und es überraschenderweise Ausfälle aus der Münchener Fraktion zu beklagen gibt. Denn ein ähnliches Spielerprofil, dass erfolgreichen Ballbesitzfußball und den gepflegten Konter-Kick vereint, verkörpert sonst nur noch Thomas Müller. Und wenn nicht, ist das auch kein Beinbruch und man kann sich darauf freuen, wie Kruse aus einem Whirlpool heraus das WM-Turnier in der Wüste mit der Shisha im Anschlag kommentiert. Mach`s jut Kruse und bis zum Wiedersehen im März in Wolfsburg!